Oberösterreichische Nachrichten, 6. 12. 1997
Text: Alfons Krieglsteiner, Fotos: Herzenberger (2), Wassermann (2)



"I bin a Tüftler": Dem Blick durchs Mikrospektralfotometer entgeht nicht die feinste Farbnuance.
Frau GENAU für heikle Fälle

Die Linzer Kriminaltechnikerin Friederike Blümelhuber
unterstützt die Behörden bei der überführung von Straftätern.

Friederike Blümelhuber ist es gewohnt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Denn von ihrer Genauigkeit und Kombinationsgabe kann das Schicksal eines Menschen abhängen. Den OöN gewährte österreichs führende Kriminaltechnikerin jetzt Einblick in ihre verantwortungsvolle Arbeit.

Wer im Labyrinth kriminalistischer Streitfälle den rettenden Ariadnefaden finden will, muß sein Heil mitunter in unkonventionellen Experimenten suchen. Zum Beispiel bei Milos M., der am 29. September 1996 nach der Rangelei mit einem Kripo-Beamten in der Linzer Altstadt eine Kugel ins Gesäß abbekommen hatte. Doch aus welcher Distanz hatte der Beamte geschossen? War es wirklich Notwehr?


Dr. Friederike Blümelhuber
Friederike Blümelhuber löste den Fall auf ihre Weise. Sie beschaffte sich einen Schweinsschlögel, streifte ihm eine Jeans über (wie sie Milos M. getragen hatte) und hängte das Hintern-Imitat auf dem Voest-Gelände an einen Baum. Mit der Dienstwaffe eines Beamten nahm sie dann den Jeans-Schlögel unter Beschuß - aus wechselnden Abständen. "Anhand der Schmauchspuren konnte ich zweifelsfrei feststellen, daß der Schuß aus 40 Zentimetern abgegeben worden sein muß", berichtet Blümelhuber. Was die Angaben des Beamten vollauf bestätigte.

Fragt man die Leiterin eines Kriminaltechnischen Privatinstituts nach ihrer hervorstechendsten Charaktereigenschaft, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "I bin a Tüftler." Hat sie sich erst einmal auf einen Fall eingelassen, arbeitet sie daran mit verbissenem Forscherdrang: "Wenn ich einen schwierigen Akt bearbeite, kann ich schon einmal sechzehn Stunden ohne Pause durchlesen."

Als allgemein beeidete gerichtliche Sachverständige tritt Frau Doktor stets in heiklen Fällen auf den Plan - im Auftrag von Untersuchungsrichter oder Staatsanwalt. Ihr beruflicher Werdegang begann an einem Gymnasium in Linz. Dort unterrichtete Friederike Blümelhuber Chemie. Schon damals gehörte aber ihre heimliche Leidenschaft der Kriminalistik. Bevorzugte Lektüre: Agatha Christie. Von ihr hat die "wirkliche" Spurensucherin vor allem eines gelernt: daß die Lösung immer im Detail steckt.


Mordopfer Tatjana Kostyreva: bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.


Mordopfer Martina Posch: verpackt in einer Abdeckplane.
Blümelhubers Linzer Speziallabor braucht den Vergleich mit dem des deutschen Bundeskriminalamtes in Wiesbaden nicht zu scheuen. Hier empfangen Härchen und Stoff-Fasern, Holzpartikelchen und Taubenfedern die höhere Weihe eines Beweisstücks. "Das ist oft wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen - plötzlich hat man die entscheidende Spur", beschreibt Blümelhuber das überwältigende Heureka-Gefühl. Ein ganzes High-Tech-Arsenal hilft "Frau Genau" beim Suchen: sechs Lichtmikroskope; ein Mikrospektral-Fotometer, das feinste Farbnuancen sichtbar macht; und ein Fourier-Transformations-Infrarot-Spektrometer (FTIR), mit dem sich die chemische Zusammensetzung einer Probe als Schwingungskurve sichtbar machen läßt. Die unterste Erfassungsgrenze liegt bei einem Quadrat von einem Hundertstel Millimeter Kantenlänge - dagegen wirkt ein menschliches Haar wie ein dickes Seil.

Die Spezialistin für "Mikrospurentechnik" hat sich in einigen spektakulären Fällen bewährt. Ihre Analyse führte beispielsweise zur Klärung des Mordes an der Weißrussin Tatjana Kostyreva, deren verbrannte Leiche im November 1996 auf einem Feld nahe der PlusCity in Pasching entdeckt worden war.

Das Interesse der Polizei konzentrierte sich bald auf den serbischen Bauarbeiter Nikola Curguz. Zwei Hosen des Verdächtigen landeten in Blümelhubers Labor. Auf einer wurde sie fündig: "Das Opfer hatte einen Lurexpulli getragen, ein Kunststoffmaterial mit aufgedampften spitzen Metallteilchen. Und diese Teilchen konnte ich auf der Hose nachweisen." Schlußfolgerung: Curguz mußte Körperkontakt mit dem Opfer gehabt haben.

Doch Blümelhuber fand noch mehr. Der Täter hatte sein Opfer nach dem Mord mit Stroh angezündet. Die Strohballen in der Nähe des Tatorts waren mit blauen Polypropylenschnüren zusammengebunden. Um das Stroh verteilen zu können, hatte er bei einem Ballen eine Schnur gelöst. Zu seinem Pech hatte er sich ein "Bröserl" vom blauen Kunststoff in die Schuhsohle eingetreten. Und das entdeckte Blümelhuber beim Absaugen des Fußteppichs in seinem Auto. Curguz wurde zu 17 Jahren Haft verurteilt (nicht rechtskräftig).

Solche Untersuchungen setzen peinlichste Sauberkeit voraus. In der autistischen Abgeschlossenheit des Labors machen sich die Kriminaltechnikerin und ihre fünf Mitarbeiter in Einweganzügen aus weißem Polypropylen an die Haus-arbeit. Jedes Kleidungsstück wird zunächst auf einer detaillierten Zeichnung in Quadranten unterteilt. Dann breitet man es auf frischem Packpapier aus und pickt jeden Quadranten Zentimeter für Zentimeter mit einem Spezialklebestreifen ab, auf dem selbst mikroskopisch kleinste Teilchen haften bleiben. Die holt man behutsam mit der Pinzette heraus und legt sie dann unters Mikroskop.

Geprüft vom FBI

Als Mitglied der "European Fibres Group" gehört Friederike Blümelhuber zu den europaweit führenden Experten in der chemischen Spurenanalyse - nach 15 Jahren harter Vorbereitung, nach Schulungen beim FBI und bei der "South Western Association of Forensic Scientists" in San Antonio und El Paso (Texas). Doch sie hat sich auch auf anderem kriminalistischen Neuland umgetan. Vom FBI geprüft und für gut befunden wurde Blümelhuber in den Bereichen Täterprofilerstellung, Analyse täterspezifischer Texte und Internet-Kriminalität. Gerade wegen der rasanten Zunahme der organisierten Kriminalität werden die Fahnder derart umfassende Qualifikationen künftig bitter nötig haben.

Die gefährlichsten Verbrecher zeigen meistens die Charakterzüge von Psychopathen, weiß Blümelhuber: "Solche Leute verspüren weder Schuld noch Trauer. Deshalb sind sie jedem normalen Menschen überlegen und verstehen es blendend, andere zu manipulieren."

Das ungeteilte Interesse der Kriminaltechnikerin gilt zwei bis heute ungeklärten Kapitalverbrechen: den Morden an OöN-Redakteur Günther Schädel und an der 17jährigen Vöcklabruckerin Martina Posch.

Günther Schädel wurde in den frühen Morgenstunden des 27. Februar 1988 in der Linzer Altstadt erschossen. Bei einer Verdächtigen fanden sich Schmauchspuren an der Hand. Blümelhuber: "Damals war es aber kriminaltechnisch noch üblich, Schmauchspuren lediglich auf Blei zu untersuchen." Heute ermöglicht die Untersuchung der Kombination Blei, Antimon und Barium eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Schußwaffe. Die Proben sind noch vorhanden. Deshalb sieht die Expertin nach wie vor Chancen für die Klärung dieses Falles.

Martina Posch verschwand am 12. November 1986 um 6.40 Uhr früh. Ihre Leiche wurde später am Ufer des Mondsees gefunden - eingewickelt in eine Abdeckplane. Eines steht für die Kriminalistin fest: Der in jüngster Zeit als Verdächtiger kolportierte Frauenmörder Wolfgang Ott war's nicht: "Der Fall Posch ist eine reine Beziehungstat." Dafür spreche die fast "liebevolle" Behandlung, die der Täter dem Leichnam hatte angedeihen lassen: Die sorgfältige "Verpackung" - und der Fundort an einer der schönsten Stellen des Salzkammergutes.

Letzte Frage an die Expertin: Gibt es eigentlich das perfekte Verbrechen? Da kann sich Blümelhuber ein Schmunzeln nicht verkneifen: "Normalerweise kann der Täter nicht vermeiden, daß er irgendwelche Spuren hinterläßt. Es sei denn, er beginge die Tat im klinisch sauberen Polypropylenanzug, den er sich außerdem erst am Tatort überstreifen dürfte." Dann wäre selbst Friederike Blümelhuber mit ihrem Latein am Ende.

Aber nur dann.

Weil Lösungen nicht einfach sind