Salzburger Nachrichten, 24. 4. 1999
Text: Fritz Peßl, Fotos: SN/Pressl, Patrick Bachmair

Sherlock Holmes ist eine Frau


Dr. Friederike Blümelhuber auf Täterspuren
Jedes noch so kleine Haar, jede Mantelfaser oder jeder Lippenstiftrest werden im Detail untersucht und analysiert.

Der genetische Fingerabdruck gewinnt bei der Verbrecherjagd zusehends an Bedeutung. Im Labor einer Linzer Kriminaltechnikerin wird jedes noch so kleine Teilchen von Haaren, Nagellack oder Mantelfasern analysiert. Akribisch genau wird zur Sicherstellung der Sachbeweise zunächst am Tatort jeder Millimeter mit Spezialbändern abgeklebt. Durch die gefundenen Mikrospuren konnten in den vergangenen Jahren viele Täter überführt werden.


Mikrospuren blauen Nagellacks
Einzig Trenchcoat und kariert gemusterten Hut wird man vermissen. Aber schon die obligate Lupe des berühmten Detektivs Sherlock Holmes spielt bei der Arbeit von Friederike Blümelhuber eine wichtige Rolle, einer Frau, die dem Verbrechen sehr genau auf der Spur ist. "Was Sherlock Holmes getan hat, macht heute noch Sinn, nur eben gekoppelt mit modernster Technik", beschreibt die studierte Chemikerin. Und auch bei der markantesten Charaktereigenschaft geht sie mit dem Engländer konform: "Ich bin ein Tüftler."

Friederike Blümelhuber ist österreichs einzige private Kriminaltechnikerin. Ihr Speziallabor in Linz ist genauso unauffällig wie sie selbst: Nichts deutet darauf hin, daß in dem Hochhaus mit Privatwohnungen ein Areal in ein High-Tech-Büro umgebaut wurde, um Kriminellen das Handwerk zu legen.


Im Labor des Kriminaltechnik-Instituts in Linz
Auch sogenannte DNA-Untersuchungen werden durchgeführt, die in österreich derzeit in aller Munde sind: Beispielsweise konnten in dem (nicht von ihr bearbeiteten) "Bleistiftmord" einige Vergleichshaare einem verdächtigen Wiener 26 Jahre nach der Tat noch zum Verhängnis werden. Auch ein Weststeirer konnte durch eine Gen-Analyse der mehrfachen Vergewaltigung überführt werden, sein Speichel wird derzeit mit Spurenmaterial an vier mißbrauchten Mädchen verglichen.

Vier Millionen Schilling investierte die Oberösterreicherin in ihre Geräte: in Lichtmikroskope, in ein Mikrospektral-Fotometer, das kleinste Farbschattierungen sichtbar macht, in ein Fourier-Transformations-Infrarot-Spektrometer, mit dem chemische Zusammensetzungen in Schwingungskurven dargestellt werden können. Neben dem technischen Rüstzeug aber ist für Friederike Blümelhuber und ihre sechs Bediensteten eine extrem ausgeprägte Feinmotorik unerläßlich. Denn ihre Proben bewegen sich manchmal in Größen von zehn mal zehn Mikrometer, im Vergleich dazu wirkt ein Haar mit durchschnittlich 50 bis 100 Mikrometer wie ein Seil.

Die Kriminaltechnikerin verwendet bei den Untersuchungen ausschließlich zerstörungsfreie Methoden, damit in einem Prozeß sowohl der Ankläger als auch der Verteidiger die Beweisstücke nochmals wissenschaftlich überprüfen können. Sie findet es selbst faszinierend, welche Aussagekraft ein einziges winziges Haar hat: ob männlich oder weiblich, dauergewellt, gefärbt, getönt, naturgelockt - alles läßt sich analysieren.

Opfer haben keine Lobby

"Haare lassen sich verhältnismäßig gut zuordnen, jedenfalls kann man fast immer Personen ausschließen, die die Tat sicher nicht begangen haben", erläutert Blümelhuber. Und kritisch fügt sie hinzu, daß in österreich vieles nicht untersucht werde, was technisch möglich wäre.

Die Zusammenarbeit von Polizei und Gendarmerie auf der einen Seite und dem Gericht auf der anderen Seite klappe nicht. "Opfer haben keine Lobby. Oft werden Kräfte gegeneinander ausgespielt, anstatt sie zu bündeln, um gemeinsam erstklassige Ergebnisse zu erzielen." Vor allem bei Vergewaltigungen hinterlasse der Täter zwangsläufig wertvolle Spuren, die häufig verlorengingen. Das amerikanische FBI und deutsche Experten erstellten längst exakte Haaratlanten, meint die Chemikerin.

Ihre Karriere als Kriminaltechnikerin war keineswegs vorgezeichnet. Freilich war Frau Blümelhuber schon immer von den spannenden Kriminalromanen Agatha Christies angetan. Nach dem Chemiestudium unterrichtete sie aber zunächst in einem Linzer Gymnasium.

Vor 15 Jahren gab ein Schülerprojekt am gerichtsmedizinischen Institut den Anstoß, in diese Richtung intensiver zu forschen. In der Zeitschrift "Chemie und Schule" schrieb sie Artikel "Auf den Spuren Sherlock Holmes - kriminaltechnische Untersuchungen". Allmählich wurde in den Ferien der Chemiesaal in ein kriminaltechnisches Labor umfunktioniert, Kurse an der Volkshochschule und beim Landesgendarmeriekommando folgten.

Spuren gibt es immer

Vor fünf Jahren beendete sie ihre Lehrerlaufbahn und arbeitet seither als Gutachterin, gerichtlich beeidet für die Bereiche allgemeine Kriminologie, Täterprofile und Internetkriminalität. Ihr Wissen erwarb sie als Autodidaktin: bei FBI-Seminaren, beim wissenschaftlichen Polizeidienst Zürich, dem Bundeskriminalamt in Wiesbaden, an Instituten in Helsinki und Brisbane (Australien). Eines ihrer wichtigsten Werkzeuge hat sie stets griffbereit, ein Spezialklebeband. Mit diesem rosagefärbten Polizeispurensicherungsband wird die Umgebung des Tatorts Millimeter für Millimeter feinsäuberlich abgepickt.

Die Arbeit an Ort und Stelle sei mindestens genausowichtig wie die anschließende Auswertung im Labor. "Je nach Bewegungsablauf gehen Mikrospuren verloren. Jede Stunde, die ich später zum Tatort komme, wird eine exakte Beweisführung schwieriger", erzählt Blümelhuber. Das perfekte Verbrechen ist bei den technischen Möglichkeiten heute dennoch praktisch unmöglich. Irgendwelche Spuren blieben immer zurück, es sei denn, der Täter beginge die Tat im klinisch sauberen Polypropylenanzug, wie er im Institut der Kriminaltechnikerin verwendet wird.

Lurexpulli verriet Täter

Durch ihre Gutachten wurde bereits vielen Tätern das Handwerk gelegt. Beispielsweise konnte der Tathergang beim Mord an der Weißrussin Tatiana Kostyreva geklärt werden. Die unbekleidete Leiche der Nebenerwerbsprostituierten war im November 1996 verkohlt in einem Erdbeerfeld bei Linz gefunden worden. Sie war erwürgt und dann mit Strohballen verbrannt worden. Als Täter wurde ein nicht geständiger Serbe überführt. Blümelhuber fand auf der Hose des Mannes Metallbeschichtung vom Lurexpulli des Opfers, was auf einen Körperkontakt zwischen den beiden schließen ließ. Zudem waren die Strohballen vor Ort mit blauen Kunststoffschnüren zusammengebunden, von denen sich der Täter winzige Teile in die Schuhsohlen eingetreten hatte.

Auch im Fall eines Taxilenkers, der im Mai 1998 in Gmunden erstochen worden war, ergab die Spurenlage eindeutige Sachbeweise. Entgegen der Version des Täters, der vor einem Welser Geschworenengericht eine Notwehrsituation konstruiert hatte, konnte nachgewiesen werden, daß er in voller Absicht gehandelt hatte. Aufgrund der Menge an Faserspuren des Mantels auf der Mittelkonsole des Fahrzeugs habe sich der Täter zum Fahrer hinbeugen müssen, argumentierte Blümelhuber. Auch ein Festhalten am Kragen des Fahrgastes habe demnach nicht stattgefunden. Der Gmundner wurde schließlich zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Als kriminaltechnisch besonders interessant bezeichnet Frau Blümelhuber den "Mixer-Mörder"-Fall. Ein Mann hatte auf seine Nachbarin nahe Linz mit einem Mixer eingeschlagen und sie mit einem Küchenmesser erstochen. Die blutverschmierte Hose wusch er vergeblich zweimal in der Waschmaschine.

Blut zu entfernen ist eine sehr hohe Kunst", meint die Kriminaltechnikerin und ergänzt: "Ich will die Wahrheit wissen, Gefälligkeiten gibt es nicht." Die Wahrheit im legendären "Fall Foco" zu erfahren, könnte selbst für Sherlock Holmes schwierig werden.

Denn nach dem Mord an der Prostituierten Elfriede Hochgatter am 13. März 1986 waren viele Beweisstücke verschlampt worden.

Gutachten im Fall Foco

Das Urteil lebenslang gegen Tibor Foco wurde später aufgehoben, der Zuhälter - für den die Unschuldsvermutung gilt - befindet sich seit vier Jahren auf der Flucht. Um insgesamt 750.000 Schilling hat Blümelhuber in dieser Causa bereits vier Gutachten erstellt. Sie verglich rosa Lacksplitter unter Fingernägeln; vom Dobermann und dem Bobtail Focos sollen Haare am Mantel des Opfers gefunden worden sein.

Derzeit ist ein fünftes "Werk" in Arbeit: An den Schmauchspuren am Pullover des Ex-Rennfahrers Foco, den er zur Tatzeit getragen hatte, soll festgestellt werden, ob sie im Zusammenhang mit einer Schußabgabe stehen. Verwundert zeigt sich die Kriminaltechnikerin, daß bis heute in diesem Fall noch kein Täterprofil erstellt wurde, obwohl der Akt bereits Tausende Seiten dick ist und aus der Persönlichkeitsbeschreibung umfangreiche Schlüsse gezogen werden könnten.

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